Tuesday, December 08, 2020
Powerful and Rich, Lowly and Hungry
Luke 1:51–53 (Revised Standard Version):
François Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 1. Teilband: Lk 1,1-9,50 (Zürich: Benziger Verlag, 1989), pp. 90-91 (I don't have access to the English translation):
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He has put down the mighty from their thrones, and exalted those of low degree;Greek:
he has filled the hungry with good things, and the rich he has sent empty away.
καθεῖλεν δυνάστας ἀπὸ θρόνων καὶ ὕψωσεν ταπεινούς,Vulgate:
πεινῶντας ἐνέπλησεν ἀγαθῶν καὶ πλουτοῦντας ἐξαπέστειλεν κενούς.
Deposuit potentes de sede, et exaltavit humiles.Setting by J.S. Bach: https://www.youtube.com/watch?v=EsUWG2axB3w&t=1045s.
Esurientes implevit bonis, et divites dimisit inanes.
François Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 1. Teilband: Lk 1,1-9,50 (Zürich: Benziger Verlag, 1989), pp. 90-91 (I don't have access to the English translation):
Die VV 52-53 gehören als zwei antithetische Doppelzeilen eng zusammen. Die Symmetrie ist mit zwei Reimen (-ων und -ους) eine chiastische: Die Gestraften werden in den Zeilen 1 und 4, die Geschützten in den Zeilen 2 und 3 genannt. Der Topos der Umkehrung der Verhältnisse ist auch in der griechischen Literatur bekannt73; als verantwortlich dafür kann dort Zeus, die Gottheit oder das Schicksal gelten. V 52 hat jedoch eher eine alttestamentliche Wurzel, denn dort ist sowohl von Gottes Überlegenheit über Reich und Arm wie von seiner aktiven Entscheidung zugunsten der Kleinen die Rede74 Beides ist Bestandteil des eschatologischen Programms. Sowohl die Gleichnisse Jesu als auch die Kreuzestheologie des Paulus bezeugen diese Umkehrung der Verhältnisse75. Das Magnificat paßt in die jüdische Tradition wie in die christliche Interpretation. V 52 spricht ausdrücklich nur von sozialen Situationen, doch das Äußere ist — gut alttestamentlich — Spiegel der inneren Haltung. Das Lied singt nicht nur von den Gefahren der Macht oder des Besitzes; ebensowenig dämonisiert es die politische und wirtschaftliche Welt. Der Umsturz wird von Gott gewünscht und durchgeführt, weil unter den Menschen Ungerechtigkeit herrscht. Wenn Gott seine Herrschaft einführt, rüttelt er notwendigerweise an den Thronen und verlangt das Geld der Reichen. Täte er es nicht, wäre er weder gerecht noch gütig, wäre er nicht Gott. Die Geburt des Kindes bedeutet das Ende vieler Privilegien und vieler Unterdrückungen. Es genügt weder zu sagen, daß Reiche und Arme im Armutsgeist der Evangelien leben sollen, noch, daß die alten Kategorien des Machtdenkens keine Bedeutung mehr haben76. Das Magnificat entspricht der hebräischen Weisheit und Vergeltungslehre: Θρόνους ἀρχόντων καθεῖλεν ὁ κύριος καὶ ἐκάθισε πρᾳεῖς ἀντ᾿ αὐτῶν (Sir 10,14)77.
Im Chiasmus beschreibt das Lied die soziale Erhöhung und das »Wirtschaftswunder« der Erwählten Gottes. Nach alttestamentlicher Symbolik bedeuten ὑψόω wie ἀγαθά mehr als menschlichen Status und Konsumgüter; man denke nur an die Erhöhung Christi und die eschatologischen Güter (bei Lukas der heilige Geist)78. In der liturgischen Sprache sind die ταπεινοί (auch als Glaubende hungrig nach Gottes Wort. Sie sind ebenso die φοβούμενοι αὐτόν (V50b)79
73 Vgl. Hesiod, Op 5-8; Aristoteles, Poët IX 11 1452a,23; Aesop, Fabula 20 von den beiden Hähnen und dem Adler; Xenophon, An III 2,10; HistGraec VI 4,23; vgl. Plinius der Jüngere IV 11,2; vgl. Schottroff, L., Magnificat 298-300 und Hamel, E., Magnificat 58-60.
74 Vgl. 1Sam (LXX 1Kön) 2,7-8; Jes 2,11- 17; Ez 21,26.31; Ps 146(147),6; Ijob 12,14-25; Sir 10,14; vgl. Hamel, E., ebd. 60-64.
75 Vgl. Lk 10,29-37; 15,11-32; 16,19-31; 18,9-14; 1Kor 1,26-31; 2Kor 8,9; Phil 2,6-11; vgl. Hamel, E., ebd. 65-70.
76 Vgl. Ernst 87.
77 Ἐξαποστέλλω mit κενός ist eine biblische Wendung: Gen 31,42; Dtn 15,13; 1Sam (LXX 1Kön) 6,3; Ijob 22,9; vgl. Rut 1,21; 3,17; Lk 20,11.
78 Ὑψόω (vgl. Apg 3,22 und Joh 3,14); ἀγαθά (vgl. Mt 7,11).
79 V53a nimmt Ps 106(107),9b auf: Καὶ ψυχὴν πεινῶσαν ἐνέπλησεν ἀγαθῶν.