Wednesday, September 01, 2021

 

The Satyr

Friedrich Nietzsche, The Birth of Tragedy, § 8 (tr. Douglas Smith):
The satyr and the idyllic shepherd of more modern times are both products of a longing for the original and the natural; but with what firm and fearless hands did the Greek reach out for his man of the forest, and how shamefully and timidly modern man dallies with the flattering image of a meek and mild flute-playing shepherd! Nature before knowledge has set to work on it, before the bolts of culture have been broken open—that is what the Greek saw in his satyr, which he did not yet identify with the ape. On the contrary: what he saw was the archetype of man, the expression of his highest and strongest impulses, as excited enthusiast, delighted by the proximity of the god, as a compassionate comrade, in whom the suffering of the god is repeated, as wise prophet from the depths of the breast of nature, as symbol of the sexual omnipotence of nature, which the Greek habitually regards with reverence and astonishment. The satyr was something sublime and divine: he could appear no other way to the painfully broken gaze of the Dionysian man. The sanitized fabrication of the shepherd would have insulted him: his eye dwelt with sublime satisfaction on the magnificent handwriting of nature as it flourished here in the open; here the illusion of culture was wiped away from the archetype of man, here the true man revealed himself, the bearded satyr, exulting in the worship of his god. Before him, the man of culture shrivelled up into a deceitful caricature.

Der Satyr wie der idyllische Schäfer unserer neueren Zeit sind beide Ausgeburten einer auf das Ursprüngliche und Natürliche gerichteten Sehnsucht; aber mit welchem festen unerschrocknen Griffe faßte der Grieche nach seinem Waldmenschen, wie verschämt und weichlich tändelt der moderne Mensch mit dem Schmeichelbild eines zärtlichen, flötenden, weichgearteten Hirten! Die Natur, an der noch keine Erkenntnis gearbeitet, in der die Riegel der Kultur noch unerbrochen sind — das sah der Grieche in seinem Satyr, der ihm deshalb noch nicht mit dem Affen zusammenfiel. Im Gegenteil: es war das Urbild des Menschen, der Ausdruck seiner höchsten und stärksten Regungen, als begeisterter Schwärmer, den die Nähe des Gottes entzückt, als mitleidender Genosse, in dem sich das Leiden des Gottes wiederholt, als Weisheitsverkünder aus der tiefsten Brust der Natur heraus, als Sinnbild der geschlechtlichen Allgewalt der Natur, die der Grieche gewöhnt ist mit ehrfürchtigem Staunen zu betrachten. Der Satyr war etwas Erhabenes und Göttliches: so mußte er besonders dem schmerzlich gebrochnen Blick des dionysischen Menschen dünken. Ihn hätte der geputzte, erlogene Schäfer beleidigt: auf den unverhüllten und unverkümmert großartigen Schriftzügen der Natur weilte sein Auge in erhabener Befriedigung; hier war die Illusion der Kultur von dem Urbilde des Menschen weggewischt, hier enthüllte sich der wahre Mensch, der bärtige Satyr, der zu seinem Gotte aufjubelt. Vor ihm schrumpfte der Kulturmensch zur lügenhaften Karikatur zusammen.



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