Sunday, May 30, 2021
Parallels
Goethe, Conversations with Eckermann (January 18, 1825; tr. John Oxenford):
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"The world," said Goethe, "remains always the same; situations are repeated; one people lives, loves, and feels like another; why should not one poet write like another? The situations of life are alike; why, then, should those of poems be unlike?"Related posts:
"This very similarity in life and sensation," said Riemer, "makes us all able to appreciate the poetry of other nations. If this were not the case, we should never know what foreign poems were about."
"I am, therefore," said I, "always surprised at the learned, who seem to suppose that poetizing proceeds not from life to the poem, but from the book to the poem. They are always saying, 'He got this here; he got that there.' If, for instance, they find passages in Shakspeare which are also to be found in the ancients, they say he must have taken them from the ancients. Thus there is a situation in Shakspeare, where, on the sight of a beautiful girl, the parents are congratulated who call her daughter, and the youth who will lead her home as his bride. And because the same thing occurs in Homer, Shakspeare, forsooth, has taken it from Homer. How odd! As if one had to go so far for such things, and did not have them before one's eyes, feel them and utter them every day."
"Ah, yes," said Goethe, "it is very ridiculous."
»Die Welt bleibt immer dieselben sagte Goethe, »die Zustände wiederholen sich, das eine Volk lebt, liebt und empfindet wie das andere: warum sollte denn der eine Poet nicht wie der andere dichten? Die Situationen des Lebens sind sich gleich: warum sollten denn die Situationen der Gedichte sich nicht gleich sein?«
»Und eben diese Gleichheit des Lebens und der Empfindungen«, sagte Riemer, »macht es ja, daß wir imstande sind, die Poesie anderer Völker zu verstehen. Wäre dieses nicht, so würden wir ja bei ausländischen Gedichten nie wissen, wovon die Rede ist.«
»Mir sind daher«, nahm ich das Wort, »immer die Gelehrten höchst seltsam vorgekommen, welche die Meinung zu haben scheinen, das Dichten geschehe nicht vom Leben zum Gedicht, sondern vom Buche zum Gedicht. Sie sagen immer: das hat er dort her, und das dort! Finden sie z. B. beim Shakespeare Stellen, die bei den Alten auch vorkommen, so soll er es auch von den Alten haben! So gibt es unter andern beim Shakespeare ein Situation, wo man beim Anblick eines schönen Mädchens die Eltern glücklich preiset, die sie Tochter nennen, und den Jüngling glücklich, der sie als Braut heimführen wird. Und weil nun beim Homer dasselbige vorkommt, so soll es der Shakespeare auch vom Homer haben! – Wie wunderlich! Als ob man nach solchen Dingen so weit zu gehen brauchte, und als ob man dergleichen nicht täglich vor Augen hätte und empfände und ausspräche!«
»Ach ja,« sagte Goethe, »das ist höchst lächerlich!«